Menschenskinder !
- 11 Mrz 2012
- Autor: Tina
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Demographische Planwirtschaft
Der Vorschlag war schnell vom Tisch. Mehr Bevölkerung braucht das Land, dachten sich die Youngsters von der Unionsfraktion, und rechneten: Aktuell liegt die Geburtenrate bei 1,4 Kindern pro Frau. Schlecht für unser soziales Sicherungssystem. Mit zwei Kindern aber bleibt die Bevölkerungszahl wenigstens konstant. Und so ward die Idee geboren, alle Kinderlose ab 25 Jahren mit einem Prozent ihres Einkommens zur Kasse zu bitten, Eltern mit nur einem Kind mit 0,5 Prozent. Die Emotionen schlugen hoch. Vom „Kind als Spar-modell“ (FAZ) war die Rede, von „demografischer Planwirtschaft“ (FDP), von „zeugen oder zahlen“ (unisono). Angela Merkel reagierte schnell und schmetterte den Vorstoß als „nicht zielführend“ ab.
Recht interessant erscheint die angedachte Deadline von 25 Jahren. So mancher Twen mag sich vielleicht fragen, wann er/ sie die Vater-/ Mutterschaft am besten antritt, damit das erste Gehalt möglichst ungeschmälert auf dem Konto landet. Noch vor dem Bachelor oder lieber nach dem Master? Während des Auslandsemesters, das in keinem Lebenslauf mehr fehlen darf? Oder doch besser zwischen den Praktika, in denen erste Berufserfahrungen gesammelt werden müssen? Doch dies nur am Rande.
Angesichts der demografischen Entwicklungen in Asien verblassen solche Blüten sozialer Ingenieurskunst. Gemeint ist nicht etwa die Überbevölkerung in diesen Ländern. Tatsächlich sind die Geburtenraten in Indien oder China seit Jahren rückläufig. Gemeint ist das eklatante Missverhältnis der Geschlechter. Liegt das normale Verhältnis bei 100 Mädchen zu 105 Jungen, so kommen in China 121, in Indien 112, in manchen Städten und Provinzen gar 163 männliche Neugeborene auf 100 weibliche. Insgesamt fehlen in Asien über 160 Millionen Frauen. Die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung hat die amerikanische Sinologin und Wissenschaftsjournalistin Mara Hvistendahl in ihrem Buch „Unnatural Selection. Choosing boys over girls, and the consequences of a world full of men“ (New York, 2011) beschrieben.
Die Ursachen: Geburtenkontrolle, Wirtschaftswachstum und selektive Abtreibungen. Jungen haben in asiatischen Ländern seit jeher einen überragenden Stellenwert. Als Stammhalter, Verdiener, Versorger. Mädchen kosten Mitgift und ziehen zur Familie ihres Mannes. Doch nicht nur die Kosten-Nutzen-Analyse, auch Prestigegründe sprechen für männliche Nachkommen. „Wenn du keinen Jungen hast, verlierst du dein Gesicht“, zitiert Hvistendahl eine junge Chinesin. Allein in Indien werden jedes Jahr eine halbe Million Schwanger-schaften abgebrochen, weil der Ultraschall die unerwünschte Auskunft gibt.
Die Folgen: Prostitution, Menschenraub, Brutalisierung der Gesellschaft. Bereits heute sind die Auswirkungen des Frauenmangels dramatisch spürbar und sie werden sich weiter verschärfen. Ende dieses Jahrzehnts werden etwa 20 Prozent der Männer im Nordwesten Indiens keine heiratsfähige Frau mehr finden. Hier und in anderen Regionen nehmen Prostitution, die Ausbreitung von Aids sowie der Kauf oder die Verschleppung von Frauen zu. Ein gut organisierter Menschenhandel sorgt für Frauennachschub aus den Nachbar-ländern Vietnam und Kambodscha nach China, Taiwan und Südkorea. Und schließlich: Die Maskulinisierung führt zur Verrohung der Gesellschaft. Die höchsten Mordraten, so Hvistendahl, gebe es nicht in den ärmsten Landesteilen Indiens, sondern in denen mit dem größten Männerüberschuss.
Wer glaubt, diese Probleme beträfen nur den asiatischen Kontinent, irrt. Denn in den nächsten fünfzig Jahren, so die Prognose von Demografieforschern, wird der Frauenmangel einen ähnlichen Effekt auf die Erde haben wie der Klimawandel.
Ich jedenfalls glaube, dass Kinder – gleich welchen Geschlechts und jenseits ihrer sozialpolitischen Funktionen – unser Leben bereichern. Und ich glaube, dass unser kulturelles Umfeld die besten aller möglichen Voraussetzungen für ein glückliches Familienleben bereithält.
P.S. Am 31. Oktober 2011 wurde das philippinische Mädchen (sic!) Danica May Camacho symbolisch zum siebenmilliardsten Erdenbürger gekürt.
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